Logo von Mastermyr fahrende Handwerker in der Tradition der Wikinger

Die Gesellschaftsstruktur der Wikinger (soweit bekannt)

Die Rigsbula dürfte eine der ersten bekannten Fälschungen der Wikinger-Sagas sein. Sie wurde vermutlich erst um ca 1000 n. Chr. erfunden, und dann verbreitet, als sei sie bereits hunderte Jahre alt. Dahinter steht vermutlich die Notwendigkeit, die "Gottgegebenheit" der Gesellschaftsstruktur von höchster Stelle bestätigen zu lassen, oder einfacher: Die Legitimation für den Herrscher zu betonieren. Allerdings war dies nur von kurzem Erfolg gekrönt, denn die Wikinger standen bereits vor ihrer Christianisierung. und prompt musste eine neue Geschichte erfunden werden, die zum neuen Glauben passte, und den Herrschaftsanspruch diesmal von einem christlichen Missionar ableitet, also wiederum (jetzt christlich verstanden) gott-gewollt. Laut Geschichtsschreibung haben sie sich ja dann um 1050 n. Chr. plötzlich in Luft aufgelöst, eine Generation, nachdem sie mit so viel Mühe "christianisiert" wurden. Bösartige Menschen mutmassen deshalb, sie seien deshalb ausgestorben, aber die Wahrheit ist einfacher: Die Geschichte schrieben die Mönche der Kirche auf, deren Erzfeinde und Feindbilder sie bis zu diesem Zeitpunkt waren. Christianisiert taugten sie aber nicht mehr zur Abschreckung, waren also nicht mehr "erwähnenswert". Daher keine Geschichte nach ca 1050 n. Chr. Punkt.
Kopf

Von heute aus betrachtet, entzieht sich die Gesellschaftsstruktur der Wikinger (und ihre Entwicklung) einfach unseren Beschreibungsmöglichkeiten. In der Jungzeit der Wikinger ( ca 800 n. Chr.) bestand keine zentralistische Struktur mit Zentralgewalt, die irgend ein König, Kaiser oder sonst wer über ein "Reich" gehabt hätte, erst um ca 1000 n. Chr. gab es so was ähnliches, und dann auch so etwas wie eine Zentralgewalt.
Vorher waren die "Clans" oder "Sippen" selbst für ihre Verwaltung zuständig, und regelten ihr "Miteinander" auch durchaus verschieden.
Aber ein paar Grundelemente scheinen doch allgemein gültig gewesen zu sein::

Multi-Kulti und kein "Volk"

Die Wikinger waren kein Volk in dem Sinn, dass sie eine homogene Bevölkerung gewesen wären. Sie waren ein Gemisch aus den "outlaws", den Rechtlosen, den Unternehmungslustigen, den "Nicht-Stubenhockern", und den aus irgendwelchen Gründen "Übrigen" ihrer Zeit. Es werden sicher nicht die "Sanftesten" ihrer jeweiligen Herkunftsländer gewesen sein (vergleiche Straflager Australien). Nach neueren Erkenntnissen waren neben den typischen Nordvölkern auch Germanen, Dänen und Slaven dabei, wobei nicht sicher ist, ob diese auf dem Umweg über Menschenhandel oder freiwillig Mitglieder geworden waren.

Jarl, Karl und Thrall Gesellschaftliche Drei-Teilung

Die Gesellschaft teilte sich in Freie und Sklaven (Thrall) auf. Innerhalb der Freien gab es eine Hierarchie, wobei die Bauern und Handwerker, aber auch Seeleute (und andere "ganz normale") die Basis bildeten, über ihnen standen die Jarle (engl Earl) sowie einige Personengruppen mit besonderen Aufgaben: Seherinnen, Goden, so was wie "Druiden".

Die "Adeligen" und Funktionsträger

Die Jarle kann man am ehesten mit "Adeligen" bei uns vergleichen, sie hatten "Anführer-Funktion", die Abstammung spielte eine Rolle, war aber nicht alleine ausschlaggebend. Von den übrigen Menschen mit "Sonderfunktionen" gehen die Meinungen über ihre Stellung und Befugnisse stark auseinander, auch ob sie "Profis" oder "Amateure" waren, d.h. ob sie ausserdem noch Bauern, Handwerker waren, oder ob sie sich ganz ihrer Funktion gewidmet haben. Das betrifft die Goden (für Rituale zuständig, heil-kundig), die Seherinnen (für Zukunft zuständig), die Skalden (zuständig für Dichtung, Geschichten und Gesang), und so eine Art "Wikinger-Druiden", von denen ich nicht sicher bin, ob sie mit den Goden identisch sind, oder eine benachbarte Funktion hatten. Der König entstand als Amt so ca um 1000 n.Chr., laut ROGSBULA war er der einzige, der mit Runen umgehen konnte, aber dabei handelt es sich um eine Art Fabel: dann hätte es vor 1000 n. Chr. ja nur Analphabeten gegeben, und das war sicher nicht der Fall.

Die Diskussion und Entscheidung im jährlichen Allthing oder Thing.

Eine sehr wichtige Einrichtung war das Allthing (auch Thing), eine regelmässige Versammlung derer, die zumindest "Freie" waren, und wo (unter anderem ) alle wichtigen Entscheidungen für die Gemeinschaft getroffen wurden, aber auch Gericht gehalten wurde. Wer auf diesen Versammlungen warum wie viele Stimmen hatte, darüber bin ich mir nicht sicher, aber die Entscheidungen wurden wohl durch Abstimmung getroffen (mehrheitlich ?). Einen Vorsitzenden gab es auch (Ratsherrn), dieser musste alle Gesetzte und Vereinbarungen im Kopf haben. Dafür konnte er in bestimmten Entscheidungen "das letzte Wort haben", also die Entscheidung der Mehrheit annullieren, z.B. wenn ein Gestz betroffen war. Auf jeden Fall sehen viele darin den Beginn einer demokratischen Entwicklung, und diese Tradition wird bis heute beibehalten (wurde im 20 Jahrhundert aufgegeben und wieder eingeführt). Ist auch eine gute Erfindung. Siehe auch Demokratie weiter unten.

Die Rolle der Frauen inkl Verwaltung des Hauses und Hofes.

Die Frauen der Wikinger würde ich zwar nicht als "emanzipiert" bezeichnen, aber ihre Rolle war doch anders als in Europa zu dieser Zeit üblich: Das könnte natürlich auch eine Notlösung gewesen sein, da während der Seereise des Gatten Feld und Haus weiter versorgt werden mussten, ein nächster Winter würde ja sicher kommen, aber daraus hat sich doch mehr entwickelt, oder es liess sich nicht mehr rückgängig machen. Frauen hatten einen ziemlichen Wert, der sich z.B. auch im Blutgeld ausgedrückt hat: Wer jemandem seine Frau umbrachte, oder sonst-wie für ihren Verlust verantwortlich war, musste dafür Schadenersatz leisten. Den Wert kann man auch daran bemessen, dass die Misshandlung der eigenen Frau "geahndet" wurde. Auch Posten wie Seherinnen trugen vermutlich dazu bei. Wikinger-Frauen sagte man neben Schönheit und auch eine selbstbewusste Ausstrahlung und eine gewisse Wehrhaftigkeit nach. Sie hatte zusätzlich auch die häusliche "Schlüsselgewalt".Sie "stand schon ihren Mann" Weiter siehe Erbrecht und Scheidungsrecht.

Das Erbrecht der Frau

Eine echte Besonderheit war das Erbrecht der Frau. Sie wurde damit vom dienstbaren Geist zum Eigentümer, und somit vielen anderen Männern relativ ebenbürtig, also "gleichgestellt. Auch wurde eine resolute, wehrhafte, aber durchaus nicht "unweibliche" Frau von Männer begehrt und verehrt, und selbst Sklavinnen, die zu Ehefrauen eines Freien wurden, konnten zu vollwertigen Mitgliedern der Sippe werden, ihren Gatten beerben, und wohlhabend und angesehen sein. Wir wollen hier nicht einen unrealistischen Eindruck erwecken, das passierte nicht wie in Hollywood jeder hübschen Sklavin, aber es war auch nicht unmöglich.

Das Scheidungsrecht der Frau

Rechtlos war eine Wikingerfrau auf jeden Fall nicht, und auch nicht die willenlose Sklavin ihres Gatten. So hatte sie z.B. ein verbrieftes Scheidungsrecht. Ich weiss nicht, welche Umstände nötig waren, um einen solchen Antrag zu begründen, aber Misshandlung war sicher so ein Umstand, darüber wird mehrfach berichtet. Verschiedentlich wird behauptet, dass solche Rechtsprechung auch ausserhalb der jährlichen Versammlung stattfand (Allthing), bzw dass im Allthing doch öfter getagt wurde als nur einmal jährlich, und dass diese jährlichen Versammlungen nur die grössten und umfangreichsten mit den meisten Zeremonien waren. Plausibel, aber einen Nachweis dafür habe ich nicht gefunden. Das Scheidungsrecht hingegen war sicher ein "Meilenstein".

Seefahrer und Zurückgebliebene

Siehe Rolle der Frau: Nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung war zur See unterwegs, und die Meinungen, warum sie dies taten, gehen weit auseinander. Entweder war es so eine Art "Mannbarkeitsritus" also eine gute Möglichkeit, um sich in die Erwachsenen-Welt aufgenommen zu werden, oder, wie neuere Überlegungen vermuten, es herrschte wirklich eine grosse Konkurrenz um die (zu heiratenden) Damen und ein Brautgeld war anders nicht aufzubringen, da die Konkurrenz gross war. Zu diesen Theorien mehr auf der Linkseite. Auf jeden Fall aber profitierten die Daheimgebliebenen auch davon, wurden doch oft ziemlich wertvolle Gegenstände von der "Wiking" mitgebracht, besonders, wenn das Ziel mal wieder ein Kloster war.

zunehmender Einfluss von Planung, seit es bei den Wikingern Könige gibt

Parallel zu der Entwicklung zu einer Zentralen Verwaltung (König) scheint auch der Umfang der Planung zuzunehmen: Als Beispiel möchte ich die Stadt Haitabu anführen, die wurde soz. auf dem Reissbrett geplant und "auf der grünen Wiese" gebaut, an einen wohl ausgesuchten, geeigneten, verkehrsgünstig gelegen. Dann wurden konsequent Händler und Handwerker "angesiedelt". Wie freiwillig diese Umsiedlungen waren, ist nicht immer bekannt, aber es war insgesamt ein grosser Erfolg. Um diesen Erfolg vor Missgunst zu schützen wurde der Danewerg errichtet, ein Bollwerk gegen Neider. Viele Forscher nennen es die erst geplante Stadt in unserem Raum. Auf jeden Fall war es einen geplante und wohl überdachte "Kompetenz-Ballung", neben Handelswaren aus aller Welt fanden sich auch viele sehr gute Handwerker dort und machten den Ort damit noch attraktiver. Leider fiel die Stadt dann doch ihrem Erfolg zum Opfer und wurde zerstört. Auch in Wikipedia ist Haitabu ausführlich beschrieben

Einführung und Änderung der Wehrpflicht

Mit dem König wurde auch die "allgemeine Wehrpflicht" (leidang) eingeführt. Und zwar gestaffelt nach Anlass: Nur landesbedrohliche Umstände erforderten die volle Mannstärke, bei kleineren Problemen oder Raubzügen war nur die Hälfte der Mannstärke eingefordert. Später wurde diese Verpflichtung dann in eine Zahlungsverpflichtung umgewandelt. So konnten wohlhabende "Grossgrundbesitzer" ihr Personal zu Hause behalten und waren in ihrer Planung vor (ziemlich häufigen) Überraschungen sicher. Wer sich das nicht leisten konnte, musste nach wie vor seine Leute schicken.

Blutgeld und Blutrache

Blutgeld war eine Regelung, die man als Vorläufer des "Schadensersatzes" ansehen kann. Wenn jemand einen "personellen Verlust" zu verantworten hatte, egal ob es sich um eine Ehefrau, einen Ehemann oder ein Kind gehandelt hat, so konnte derjenige zur Zahlung oder "Ableistung" eines Blutgeldes verurteilt werden. Die Begleichung dieser Schuld war er dann nicht nur dem Geschädigten, sondern der Sippe schuldig, was unserem Rechtsverständnis (nicht Selbstjustiz, sondern Verfolgung durch die Gesellschaft nahe kommt.
Aber es gab auch die Blutrache, und die war ebenfalls geregelt, d.h. sie stand jemand mit Billigung der Gesellschaft zu. Ich habe viel darüber nachgedacht, wie das funktionieren konnte, denn der zur Blutrache Berechtigte wurde ja nicht für seine Rache bestraft. Ob aber die Blutrache wirklich immer geeignet war, einen tödlichen Konflikt auch wirklich zu beenden, stelle ich nach wie vor in Frage. Auf jeden Fall wurde das sehr ernst genommen, ein Beispiel sind solche Schwüre wie: Ich werde mich weder waschen noch die Haare schneiden, bevor ich diese Blutrache nicht vollendet habe. Ein Beispiel findet Ihr unter Reinlichkeit (wie sahen sie aus).

Kasten-Wechsel

Im Gegensatz zu dem Kastensystem in Indien ist die gesellschaftliche Gruppenzugehörigkeit bei den Wikingern zwar auch durch Geburt vorbestimmt, aber es gibt viele Beispiele für einen Wechsel, nicht immer nur nach oben (eine Verbesserung). Es war auch ein gesellschaftlicher "Absturz" durchaus möglich, ja sogar die "Ächtung". Prominentes Beispiel für ungezügeltes Temperament und die Ächtung: Eric der Rote hat sich nur durch seinen Aufbruch zur Seefahrt vor den Folgen der Ächtung bewahrt. Letztendlich wurde dadurch die Entdeckung Amerikas beschleunigt, wer weiss, ob dieses Abenteuer auch ohne die Probleme zu Hause versucht worden wäre. In vielen Fällen wichen diese "Aussteiger" dann lieber in die neu besiedelten Gebiete aus (Grönland, Island) oder blieben auf See, bis sich die Wellen wieder beruhigt hatten. Umgekehrt wird aber auch von Sklaven berichtet, die zu Ansehen und Wohlstand gekommen sind und als Freie ihr Leben selbstbestimmt fortgeführt haben, Männer wie Frauen, es war also bestimmt nicht leicht, aber eine Veränderung war zumindest möglich.

Demokratie ist was anderes

Bei aller Innovation und aller Moderne, die man den Wikingern zugestehen, muss hier doch eine ganz klare Abgrenzung vorgenommen werden: Es war sicher keine Demokratie, und sie haben sie auch sicher nicht erfunden, das waren die Griechen, aber sie haben eben alternative Wege eingeschlagen, die im damaligen Europa nicht üblich waren.

Homosexualität bei den Wikingern

Die Antwort lautet ganz entschieden: JAIN ! Männliche und weibliche Homosexualität war durchaus bekannt, und wurde vermutlich auch "ausgelebt", aber : Die Gesellschaft erwartete von jedem "Mitglied" eine Teilnahme an der Reproduktion, nicht nur um den Hof weiter bewirtschaften zu könne, sondern auch als Alterssicherung. Es handelte sich aber auch um eine allgemeine gesellschaftliche Konvention. Was jemand darüber hinaus privat getan oder gelassen hat, darum haben sich die anderen eher weniger gekümmert. Zu bedenken ist hier auch die bekannte Zurückhaltung der kirchlichen Geschichtsschreiber, die Wikinger hatten keine Grund, ihre Sexualität zu verstecken oder zu verheimlichen. Prüde waren sie (siehe Bildkunst) eher nicht.

Vergewaltigung

Vergewaltigung wurde als Kriegswaffe eingesetzt, innerhalb ihrer Gesellschaft war sie jedoch mit Sanktionen belegt (siehe Blutgeld), d.h. Vergewaltigung wurde mit "Schadensersatz" geahndet. Die Dunkelziffer wird wohl ihr Geheimnis bleiben, aber die "Ächtung" dieser Praktik innerhalb ihrer Gesellschaft war klar, und sie schloss auch Sklaven mit ein. So rechtlos, wie die Rolle "Sklaven" es vermuten lässt, waren sie also nicht, stellten sie doch ausserdem einen erheblichen Wert dar.

Wer des Englischen Mächtig ist, dem empfehle ich einen Ausflug auf eine mit uns befreundete Seite der Viking Answer Lady.

Sie schreibt seit 1990 über die Wikinger und ist eine echte Kompetenz. Wir haben die Erlaubnis, ihre Seiten auf Deutsch zu übersetzen und werden dies auch Stück für Stück tun.

Maz